Testierfähigkeit und Geschäftsfähigkeit



Wir werden immer älter. Das ist gut so. Wir leben gesünder, es gibt laufend Fortschritte in der Medizin, so dass wir problemlos 80, 90 Jahre alt werden können. Manchmal hält die geistige Fitness mit der körperlichen Fitness mit, manchmal nicht. Demenz,
Alzheimer
und andere Erkrankungen häufen sich, weil wir häufiger sehr alt werden. Und irgendwann kommt vielleicht der Zeitpunkt, dass unsere Verwandten, Bekannten und unser Umfeld sich Sorgen machen, ob wir unsere eigenen Angelegenheiten noch regeln können.

Wenn die Geschäftsfähigkeit beeinträchtigt ist, bekommt man möglicherweise einen Betreuer. Man wird nicht entmündigt und man bekommt auch keinen Vormund, wie das früher üblich war, sondern man erhält einen Betreuer, der für verschiedene oder
einzelne Aufgabenkreise zuständig ist. Weil man nicht entmündigt ist, gilt man auch nicht als geschäftsunfähig.
Aber die Geschäftsfähigkeit ist möglicherweise „eingeschränkt“, ob mit oder ohne Einwilligungsvorbehalt. Dann stellt sich die Frage, ob man bei eingeschränkter Geschäftsfähigkeit noch ein Testament machen kann.

Die Fähigkeit, ein Testament machen zu können, nennt man Testierfähigkeit. Sie ist nicht identisch mit der Geschäftsfähigkeit. Man kann (eingeschränkt) geschäftsfähig sein, aber nicht mehr testierfähig, man kann aber auch noch testierfähig sein, wenn man nicht mehr geschäftsfähig ist.

Wenn ich unter Betreuung stehe, kann ich mir selbstverständlich noch morgens meine Brötchen beim Bäcker selber kaufen. Ich werde aber keinen komplizierten Gesellschaftsvertrag mehr abschließen können. Was ist aber mit der Testierfähigkeit? Kann ich in dieser Situation meinen Ehepartner durch Einzeltestament als Alleinerben einsetzen, kann ich mit ihm gemeinsam ein Berliner Testament machen, in dem wir uns gegenseitig als Alleinerben einsetzen und als Schlusserben unsere Kinder? Es kommt sicherlich darauf an, ob das, was ich tue, etwas Einfaches ist oder etwas Kompliziertes. Wenn ich beim Bäcker Brötchen kaufen kann, weil ich ausreichend geschäftsfähig bin, werde ich auch dem Tierheim 20 € spenden oder durch Testament vermachen können. Aber meine Unternehmensnachfolge werde ich in allen Einzelheiten nicht mehr regeln können.

Das Problem bei der Feststellung der Testierfähigkeit ist, dass man meist im Nachhinein beurteilen muss, ob der Verstorbene beim Schreiben des Testaments noch testierfähig war. Stand er zu diesem Zeitpunkt unter Betreuung oder war eine Demenzerkrankung bereits medizinisch festgestellt, kann es zu heftigen Erbstreitigkeiten kommen, wenn sich Erben oder potentielle Erben nicht ausreichend berücksichtigt fühlen.


1. Gesetzliche Regelung

Zur Geschäftsfähigkeit und zur Testierfähigkeit findet man im Bürgerlichen Gesetzbuch herzlich wenig. Man findet allerdings Regelungen zur Geschäftsunfähigkeit und zur Testierunfähigkeit. Das hat damit zu tun, dass der Gesetzgeber zunächst einmal davon ausgeht, dass jeder Mensch – jedenfalls wenn er volljährig ist – geschäftsfähig und testierfähig ist. Das ist die Regel, von der es Ausnahmen gibt. Das hat zur Folge, dass man im Streitfall nicht die Geschäftsfähigkeit oder die Testierfähigkeit beweisen
muss, sondern das Gegenteil, also die Geschäftsunfähigkeit oder die Testierunfähigkeit.

Eine völlig nachvollziehbarere Einschränkung wird beim jeweiligen Alter gemacht. Wenn man noch nicht sieben Jahre alt ist, kann man nicht geschäftsfähig sein. Und wenn man noch nicht 16 Jahre alt ist, kann man kein Testament errichten. Voll geschäftsfähig wird man dann mit dem 18. Geburtstag. (Das war nicht immer so. Vor 1975 wurde man nach dem BGB erst mit 21 Jahren volljährig. Nach dem Zivilgesetzbuch der DDR von 1975 wurde man mit 18 Jahren volljährig. Erst mit Volljährigkeit, also mit 18 Jahren, durfte man ein Testament machen.)

Von diesen Alterseinschränkungen abgesehen gilt jeder Mensch als voll geschäftsfähig und als testierfähig. Ansonsten ist geregelt, wie man geschäftsunfähig oder testierunfähig wird. Geschäftsunfähig ist man, wenn die Geistestätigkeit so krankhaft gestört ist, dass eine freie Willensentscheidung ausgeschlossen ist. Hingegen ist man testierunfähig, solange man wegen krankhafter Geistesstörung, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung von Willenserklärungen zu erkennen und entsprechend einsichtig zu handeln. Was das im Einzelnen bedeutet, erfahren wir, nachdem wir uns mit der Frage beschäftigt haben, wie denn die Regelungen zur Geschäftsfähigkeit und zur Testierfähigkeit entstanden sind.


  1. Bedeutung der Regelungen

Geschäftsfähig und testierfähig wird man also je nach Alter von selbst. Vom 7. bis zum 18. Geburtstag ist man beschränkt geschäftsfähig, d. h. man darf über sein Taschengeld selbst verfügen. Das regelt der Taschengeldparagraph 110 des BGB. Von 16 bis 18 kann man ein Testament machen, allerdings nur beim Notar. Ab dem 18. Geburtstag ist man dann ohne jegliche Einschränkung geschäfts- und testierfähig. Kommt es zu einem Rechtsstreit, wird die Geschäftsfähigkeit und die Testierfähigkeit zunächst einmal vermutet, d. h.
Geschäftsunfähigkeit und Testierunfähigkeit müssen von demjenigen bewiesen werden, der sich darauf beruft. Geschäftsunfähig ist man, weil die Geistestätigkeit so krankhaft gestört ist, dass eine freie Willensentscheidung dauerhaft ausgeschlossen ist. Geschäftsunfähigkeit ist also ein Dauerzustand und kein vorübergehender.

Testierunfähig
ist man ebenfalls bei krankhafter Geistesstörung oder wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung, sobald man nicht mehr in der Lage ist, einsichtig zu handeln und zu erkennen, was man tut. Dieser Zustand der Testierunfähigkeit muss nicht dauerhaft gegeben sein, er kann auch nur vorübergehend vorliegen.

Im Drogenrausch ist man also testierunfähig, aber nicht geschäftsunfähig. Der als geschäftsfähig angesehene „Berauschte“ wird allerdings vom Gesetz anderweitig geschützt, denn seine Willenserklärungen sind nichtig (§ 105 Abs. 2 BGB). Diese kleinen feinen Unterschiede dürfen aber den Blick auf das Wesentliche nicht verstellen. Man weiß auch gar nicht, ob in den jeweiligen gesetzgeberischen Verfahren diese kleinen feinen Unterschiede bewusst gemacht worden sind oder sich nur eingeschlichen haben.

Im Ergebnis
kommt es in den allermeisten Fällen immer darauf an, ob eine krankhafte Störung der geistigen Gesundheit vorliegt. Nun gibt es solche und solche Krankheiten. Die Erkrankung kann durchgehend sein, aber auch in Schüben auftreten. Oder man ist dauerhaft erkrankt, hat aber lichte Momente. Das alles festzustellen, ist natürlich furchtbar schwer. Auch Juristen können das oft nicht ohne sachverständige Hilfe zuverlässig beurteilen.

In den meisten Fällen erfordert die Beurteilung der geistigen Gesundheit spezielle Fachkenntnisse. Ein Richter wird in der Regel einen Sachverständigen hinzuziehen. Aber welche Berufsgruppe ist ausreichend sachverständig? Darüber kann man trefflich streiten, doch für solche Fälle haben die Juristen immer die treffende Antwort: „Es kommt drauf an!“ Selbstverständlich kann in vielen Fällen auch ein Notar beurteilen, ob die vor ihm sitzende Person noch ausreichend gesund ist und er die Willenserklärungen beurkunden kann. Auch ein Hausarzt kennt seine Patienten schon ziemlich gut. Aber es gibt natürlich auch Krankheitsbilder, die schwieriger zu erkennen sind. So liegt beispielsweise bei einer Demenz häufig eine „schleichende“ Entwicklung der Krankheit vor.

Es gibt also viele unterschiedliche Krankheitsbilder und damit auch viele unterschiedliche Sachverhalte, die medizinisch und rechtlich zu beurteilen sind. Kein Fall ist gleich und wenn es richtig schwierig zu beurteilen wird, muss ein Neurologe oder Psychiater hinzugezogen werden. Die sachverständige Unterstützung bindet jedoch den Juristen nicht in seiner abschließenden Beurteilung. Es kommt häufig genug vor, dass Ergebnisse von Sachverständigengutachten widerlegt werden, dass die Vorgehensweise des Sachverständigen nicht professionell genug ist. Häufig scheitern die medizinischen Sachverständigen daran, dass sie nicht ausreichend juristisch bewandert sind und damit die Gutachten Rechtsmängel aufweisen.

  1. Feststellung der „Unfähigkeit“

Was macht aber nun ein Notar, wenn jemand zu ihm kommt und eine Beurkundung wünscht, von dem er nicht weiß, ob er geschäftsfähig oder testierfähig ist? Der Notar wird ein Gespräch führen und die intellektuellen Fähigkeiten ausloten. Denn auf die
kommt es ja an. Und so führt der Notar zunächst ein Gespräch über die alltäglichen Dinge. Behauptet sein Gegenüber
steif und fest, dass der Bundeskanzler Adenauer und der Bundespräsident Hindenburg heißen, ist die Sache eigentlich eindeutig. Aber in vielen Fällen ist es so, dass dem Notar ganz schön was vorgemacht wird. Selten geben die Notare sich nicht ausreichend Mühe. Außerdem stellt sich die Frage, wie weit ein Notar gehen darf oder gehen muss, um beurkunden zu dürfen. Kann er ein
Attest des Hausarztes verlangen und sich damit zufrieden geben? Darf oder muss der Notar seine Zweifel an der Testierfähigkeit in der Notarurkunde festhalten?

 

Zur Bewertung der intellektuellen Mindestanforderungen könnte ein Notar regelmäßig oder bei entsprechenden Anhaltspunkten den sogenannten „Uhrentest“ durchführen. Dieser wird in der Neurologie und Neuropsychologie seit vielen Jahren verwendet. Mit dem Uhrentest kann man in kurzer Zeit wichtige intellektuelle Defizite erkennen.

In dem Uhrentest soll eine Uhr gezeichnet werden mit zwölf Ziffern und zwei Zeigern. Es soll dann eine bestimmte Uhrzeit von der Uhr ablesbar sein. Zusätzlich kann man noch darum bitten, dass die Uhrzeit in digitaler Form, also 22:30 angegeben wird. Sind dann im Ergebnis zwölf Zahlen vorhanden und auch einigermaßen regelmäßig und in der richtigen Folge angebracht, sind die zwei Zeiger richtig eingezeichnet und stimmt die Zeit mit der digital angegebenen Zeit überein, so kann man durchaus von Geschäfts- und Testierfähigkeit ausgehen, sofern nicht andere Ausfallerscheinungen offensichtlich sind.

Doch dieser Uhrentest kann nicht alle intellektuellen Schwächen aufdecken. Es gibt viele „Störungen“, wie z.B. Wahnvorstellungen, die „auf die Schnelle“ nicht erkennbar sind.

Viel problematischer sind natürlich die Fälle, in denen im Nachhinein festgestellt werden muss, ob eine ausreichende Geschäftsfähigkeit oder ausreichende Testierfähigkeit vorgelegen hat. Noch schwieriger wird es, wenn behauptet wird, dass lichte Momente, sogenannte luzide Intervalle, vorgelegen hätten. Die Behauptungen, die im Nachhinein vorgetragen werden, reichen da schon manchmal ins Märchenhafte.

  1. Auswirkungen der „Unfähigkeit“

Was im Zustand der Geschäftsunfähigkeit oder Testierunfähigkeit erklärt wird, ist nichtig. Die Rechtslage ist die gleiche, als wenn es die Erklärung nie gegeben hätte. Ausnahmen wie Geschäfte des täglichen Lebens oder der Taschengeldparagraph bestätigen die Regel.