Meine Kinder, deine Kinder, unsere Kinder



Wie sieht eine typische Patchworkfamilie aus? Antwort: Eine typische Patchworkfamilie gibt es nicht. Einziges Kennzeichen einer Patchworkfamilie ist: Nicht jeder ist mit jedem verwandt. Ansonsten gibt es sehr sehr viele Varianten. Wir haben ein verheiratetes Paar und Kinder. Das können seine Kinder sein, das können ihre Kinder sein, das können gemeinsame Kinder sein. Weil nicht jedes Kind mit jedem Elternteil verwandt sein muss, kommt es bei der gesetzlichen Erbfolge und im Pflichtteilsrecht zu Ergebnissen, die oft als ungerecht empfunden werden.

 

 

1. eine denkbare Konstellation

 

Der Pilot Dieter ist in zweiter Ehe mit der Stewardess Yvonne verheiratet. Dieter hat einen Sohn aus erster Ehe namens Paul. Yvonne hat eine uneheliche Tochter Petra und gemeinsam haben sie die Tochter Frieda. Dieter ist vermögend (1,5 Mio. €). Er hat als Pilot gut verdient und von seinen Eltern reichlich geerbt. Yvonne hat ein bisschen gespart und 100.000,- € auf dem Konto.

 

Wenn Dieter und Yvonne kein Testament haben, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Wenn Yvonne zuerst verstirbt, erbt ihr Mann Dieter 50.000,- €, ihre Kinder Petra und Frieda jeweils 25.000,- €. Stirbt Dieter zwei Jahr später, erben Paul und Frieda je zur Hälfte, also bei immer gleichbleibendem Vermögen 1,5 Mio. € + 50.000,- € geteilt durch 2 = 775.000,- €. Im Ergebnis haben also die drei Kinder von den Eltern/Stiefeltern wie folgt geerbt: Petra 25.000,- €, Paul 775.000,- € und Frieda 800.000,- €. Das könnte man vielleicht als ungerecht empfinden, allerdings wissen wir nicht, ob Petra noch von ihrem leiblichen Vater etwas erbt, oder ob Paul noch etwas von seiner leiblichen Mutter erbt. Aber wir können davon ausgehen, dass zumindest Petra das Ergebnis nicht toll findet und die drei, die als Kinder zusammen aufgewachsen sind, nicht mehr unbefangen miteinander auskommen.

 

Wenn Dieter und Yvonne ein Berliner Testament gemacht haben: „Wir setzen uns gegenseitig als Alleinerben und unsere Kinder Paul, Petra und Frieda als Schlusserben ein“, um alle Kinder gleich zu behandeln, könnte es durchaus zu ungewollten Auswirkungen kommen. Wenn Dieter – der allgemeinen Statistik folgend – als erster stirbt, würde Yvonne Alleinerbin, die Kinder würden nicht erben, aber Paul und Frieda könnten Pflichtteilsansprüche geltend machen. Bei gesetzlicher Erbfolge wären sie Erben zu je1/4 geworden. Also sind 2 x Pflichtteilsansprüche in Höhe von 1/8 entstanden. Ein 1/8 von 1,5 Mio. € sind 187.500,- €, mal 2 sind 375,000,- €. Das wird Yvonne nicht gefallen, Petra wahrscheinlich auch nicht.

 

Dieter und Yvonne wollen Pflichtteilsrechte vermeiden und haben deshalb eine Pflichtteilsstrafklausel im Testament aufgenommen: Sollte eines unserer Kinder nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil geltend machen, so soll es auch nach dem Tod des Letztversterbenden nur den Pflichtteil erhalten. Mit dieser Gestaltung haben Dieter und Yvonne „das Fass“ zum überlaufen gebracht. Wenn Dieter zuerst verstirbt und Paul und Frieda Pflichtteilsansprüche geltend machen, was bekommen die beiden dann nach Yvonnes Tod? Auch nur den Pflichtteil werden Sie antworten. Aber ist das richtig und gewollt oder vielleicht fatal? Denn Paul ist ja gar nicht mit Yvonne verwandt, weshalb für ihn gar kein Pflichtteil entstehen würde. Deshalb wird Paul jetzt sagen: Eigentlich nicht, aber jetzt schon und sein Anwalt wird argumentieren: Die Kinder Paul und Frieda, die nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils ihren Pflichtteil geltend gemacht haben, sollten nach dem Willen von Dieter und Yvonne nicht mehr Schlusserben werden, sondern nur noch den Anspruch eines Pflichtteilsberechtigten geltend machen können. Für eine Ungleichbehandlung von Paul und Frieda gibt es im Testament keinerlei Hinweise. Wenn das Gericht dieser Argumentation folgt und Petra als Alleinerbin nicht nur Frieda sondern auch noch Paul einen Pflichtteil zahlen muss, hätten im Ergebnis Dieter und Yvonne einen zusätzlichen Pflichtteilsanspruch für Paul geschaffen. Aber in welcher Höhe? Die Hälfte des zugedachten Schlusserbteils wäre 1/6. Damit wäre Frieda allerdings nicht zufrieden.

 

Frieda muss ganz anders argumentieren: Das Pflichtteilsrecht ist die Mindestbeteiligung der nächsten leiblichen Angehörigen. Ihr Pflichtteilsrecht richtet sich nach der gesetzlichen Erbfolge. Nach dem Tod ihrer verwitweten Mutter wäre sie mit Petra zusammen Erbe zu je 1/2 geworden. Dann hätte sie Anspruch auf einen Pflichtteil in Höhe von 1/4 des Nachlasses. Rechnen müssten wir wie folgt: Dieters Nachlass im Wert von 1,5 Mio.€ abzüglich 375.000,- € Pflichtteilsansprüche + Yvonnes Vermögen von 100.000,- € = 1.225.000,- € geteilt durch 4 = 306.250,- €. So hoch wäre ihr Pflichtteilsanspruch. Rechnet man jetzt ihren Pflichtteilsanspruch nach dem Tod von Dieter hinzu, könnte sich Frieda also insgesamt über Zahlungen in Höhe von 493.750,- € freuen. Nun werden die Schnellrechner von Ihnen bemerken: Aber als Schlusserbin hätte sie ja über 500.000,- € bekommen. Das ist aber nur halb richtig. Als Schlusserbin wäre sie an einer Erbengemeinschaft beteiligt gewesen. Wann man bei einer Erbengemeinschaft in den Genuss seines Erbteils kommt, steht in den Sternen. Das kann Jahr und Jahrzehnte dauern, mit oder ohne Beteiligung von Gerichten und Anwälten. Natürlich muss man sich auch den Pflichtteilsanspruch in aller Regel erkämpfen, aber dieser Anspruch wird verzinst. Und die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes ist heutzutage durchaus attraktiv. Ein Anwalt, der es gut mit Frieda meint, wird ihr also möglicherweise zum Pflichtteil raten.

 

Sie sehen also, schon an diesem einen Beispiel, zu welchen Folgen bei der gesetzlichen und testamentarischen Erbfolge Patchworkverhältnisse führen können. Sie müssen sich also unbedingt kompetenten Rat einholen.

 

Außer diesem Beispiel sind noch andere Konstellationen denkbar, die bei Patchworkverhältnissen zu ungeahnten und ungewollten Ergebnissen führen, wenn man sich der gängigen Testamentsinhalte bedient. Im Ergebnis muss also bei Patchworkverhältnissen ein individueller Testamentsinhalt erarbeitet werden. Dabei tut man sich erheblich leichter, wenn man statt eines gemeinschaftlichen Testaments zwei Einzeltestamente errichtet.

 

 

2. Stiefverhältnisse

 

Bei alledem sollte man berücksichtigen, dass man es bei Patchworkverhältnissen immer auch mit Stiefverhältnissen zu tun hat und wie tragisch Stiefverhältnisse Familienschiksale beeinflussen können, wissen wir doch schon seit Grimms Märchen. Es gibt kaum Geschichten, bei dem Stiefmutter oder Stiefvater eine besonders positive Rolle abbekommen. Und die Stiefkinder untereinander verhalten sich auch oft anders als leibliche Geschwister.

 

Wenn Er und Sie Kinder mit in die Ehe bringen und gemeinsame Kinder haben, haben wir eine Konstellation wie im obigen Beispiel bei Dieter und Yvonne. Vielleicht bringt aber auch nur Er „Beutekinder“ mit in die Ehe, vielleicht gibt es gemeinsame Kinder, vielleicht bleibt die Ehe kinderlos. Möglicherweise bringt Sie ein oder mehrere Kinder mit in die Ehe und die Akzeptanz des Stiefvaters ist gefragt. Und dann sind Kinder nicht gleich Kinder  und schon deshalb eine Gleichbehandlung nicht denkbar.

 

Weiterhelfen könnte das sogenannte Zacharias’sche Testament, dass das Berliner Testament mehr und mehr ablöst. In diesem neuen „Berliner Testament“ wird der überlebende Ehepartner faktisch Alleinerbe. Die Kinder erhalten zwar einen Geldanspruch, der ihrer zugedachten Beteiligung am Erbe entspricht, allerdings erst nach dem Tod des überlebenden Ehepartners. Weil außerdem Testamentsvollstreckung angeraten wird, ist der überlebende Ehepartner „fein raus“ und braucht sich um nichts zu kümmern und sich insbesondere nicht zu ärgern.