Erläuterungen zur Patientenverfügung



1. Einleitung

 

Die Patientenverfügung ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, es gibt sie aber auch noch nicht ewig. In den 70er Jahren tauchte zunächst in der juristischen Literatur der sogenannte Patientenbrief auf. Ausgerechnet der Leiter des Kölner Insolvenzgerichtes, Dr. Wilhelm Uhlenbruck, schrieb einen vielbeachteten Aufsatz. Später bezeichnete er seinen Patientenbrief als Patiententestament. Beide Bezeichnungen bedeuten das gleiche wie der Begriff Patientenverfügung. Entstanden ist diese Möglichkeit einer vorsorglichen Willensäußerung aufgrund der medizinisch-technischen Möglichkeiten, die nicht nur unser Leben verlängern können, sondern auch erschreckende „Risiken und Nebenwirkungen“ haben können. So enthielt der Patientenbrief von Dr. Uhlenbruck die Formulierung: „Auch wünsche ich keine Hemikorporektomie“. Wenn Sie nachgucken, was das ist, wissen Sie sofort, warum Patientenverfügungen so wichtig sind. Dass im Rahmen medizinischer Behandlungen der Patientenwille nicht nur vorrangig, sondern unbedingt zu beachten ist, ist nichts Neues. In einem Aufsatz habe ich bereits darauf hingewiesen, dass diese Rechtslage vom Reichsgericht vor fast 120 Jahren festgestellt worden war. Maßgeblich ist immer der Wille des Patienten, der nicht hinnehmen muss, dass man ihn am Leben halten will. Der Arzt darf sich dem natürlichen Krankheitsverlauf also nicht widersetzen, wenn der Patient das nicht will. Die vielen Aufsätze und klugen Ausführungen zu Patientenautonomie und Selbstbestimmungsrecht beschreiben also nichts Neues.

 

 

2. Der Patientenwille

 

Der Patient sagt also, was er will. Und wenn er nicht sprechen oder entscheiden kann, aber schon früher einmal schriftlich festgelegt hat, was er will oder nicht will, dann ist dieses Schriftstück (Patientenbrief, Patiententestament, Patientenverfügung) natürlich maßgeblich. Der Arzt muss sich aber auch nach dem Schriftstück richten können. Das heißt zunächst, dass er es kennen muss und dann auch, dass die Anweisungen ausreichend konkret sein müssen. Die Patientenverfügung, die fein säuberlich im Dokumentenordner abgeheftet im Wohnzimmerschrank zu finden ist, wird vielleicht gar nicht gefunden oder viel zu spät. Sind die medizinischen Geräte für künstliche Ernährung, künstliche Beatmung oder andere Dinge schon eingerichtet, werden Sie nur sehr schwer jemanden finden, der alles wieder rückgängig macht. Sie müssen vielmehr dafür sorgen, dass Sie von vornherein keiner medizinischen Behandlung unterworfen werden, die Sie nicht wollen. Das heißt, dass im besten Fall der behandelnde Arzt im Krankenhaus innerhalb von 24 Stunden über den Inhalt Ihrer Patientenverfügung informiert wird. Darüber hinaus muss der Inhalt der Patientenverfügung medizinisch und juristisch relativ einwandfrei sein. Deshalb sind Sie auf Formulare angewiesen.

 

Sie sind als Laie selbst nicht in der Lage, juristisch und medizinisch einwandfrei zu formulieren. Patientenverfügungsformulare gibt es erstaunlich viele. Es gibt gute und schlechte und es gibt sogar sogenannte Placeboformulare, die schön aussehen, aber nichts nützen. Wenn das Formular vor 2010 herausgegeben wurde, sollten Sie die Finger davon lassen, weil das sogenannte Patientenverfügungsgesetz von 2009 noch nicht berücksichtigt sein kann. Wir empfehlen das sogenannte Berliner Patiententestament oder Berliner Patientenverfügung.

 

 

3. Das Formular

 

Es beginnt mit Ihren persönlichen Angaben und es ist ein Beispiel angegeben. In meinen Vorträgen taucht nicht selten die Bemerkung auf, dass man das Formular ja nicht verwenden kann, weil man selbst nicht Mia Mann heißt. Dann ist man möglicherweise auch schon am Ende mit dem Ausfüllen des Formulars. Denn wenn man nicht versteht, dass es sich bei Mia Mann um ein Formulierungsbeispiel handelt, dann reicht es wohl auch nicht zu einer Entscheidung über Leben und Tod. Und auch nicht zur Erfassung medizinischer und juristischer Notwendigkeiten.

 

Aber Sie gehören natürlich nicht zu diesen Fragestellern und finden eine einfache und passende Formulierung. Sie müssen nämlich nicht Ihre persönlichen, ethischen oder religiösen Überzeugungen in Worte fassen. Sie sollen mit Ihrer handschriftlichen Schilderung nur einen ersten Anhaltspunkt zur ausreichenden Geschäftsfähigkeit und zur Interpretation Ihres letzten Patientenwillens geben.

 

Es folgt dann eine einfache aber durchaus allgemeingültige Begründung für das Abfassen Ihrer Patientenverfügung:

 

·         ich möchte in Würde sterben können

·         ich verzichte auf Apparate medizinischer Eingriffe

·         ich will nicht am Leben gehalten werden, obwohl ich sterbenskrank bin

 

Es kommen dann fünf Beispielsituationen.

 

Für den Fall, dass ich unheilbar krank bin: Was unter einer unheilbaren Krankheit zu verstehen ist und auch die nachfolgend verwendeten Begriffe sind auf der letzten Seite erläutert. Es sind natürlich Beispielsituationen, folglich auch weitere Beispiele denkbar. Aber sie können ja schlecht ein medizinisches Lexikon oder Lehrbuch kommentieren, um alle denkbaren Fälle und Situationen zu berücksichtigen. Das wird Ihnen nie gelingen. Deshalb weist das Formular auch darauf hin, dass Ihre Festlegungen genauso konkret wie beispielhaft zu verstehen sind.

 

Sie müssen sich nun für eine oder mehrere Situationen entscheiden.

 

Danach müssen Sie sich zu möglichen lebensverlängernden Maßnahmen entscheiden. Hier sind drei Beispiele genannt, nämlich die künstliche Beatmung, die künstliche Ernährung oder die Wiederbelebung. Es sind dann auch noch zwei Leerzeilen vorhanden, denn natürlich gibt es viele andere lebensverlängernde Maßnahmen. Aber nicht jeder Mensch kann jede Maßnahme ausschließen. Die persönlichen gesundheitlichen Befindlichkeiten sind zu unterschiedlich. Jemand, der nierenkrank ist, kann nicht selbstverständlich auf Dialyse verzichten. Sie müssen also über Ihren persönlichen gesundheitlichen Zustand Bescheid wissen. Und deshalb müssen Sie mit Ihrem Hausarzt sprechen und ihm sagen, was Sie vorhaben. Das Formular der Berliner Patientenverfügung sieht auch ausdrücklich vor, dass Ihr Hausarzt mit unterschreibt, denn er kann Ihnen sagen, ob Sie die richtigen Entscheidungen treffen oder gerade Riesenblödsinn machen. Und er wird Sie darauf aufmerksam machen, wenn sich Ihr Gesundheitszustand ändert und Sie deshalb Ihre Patientenverfügung anpassen müssen.

 

Im Übrigen erfüllt die Unterschrift Ihres Hausarztes drei weitere Funktionen: Er wird nur unterschreiben, wenn und weil er Sie kennt und bestätigt damit mit seiner Unterschrift, dass dies Ihr eigener Wille ist. Er unterschreibt nur, wenn er Sie für zurechnungsfähig hält und bestätigt damit Ihre Geschäftsfähigkeit. Und er unterschreibt nicht blind, sondern guckt sich Ihre Patientenverfügung an. Wenn er sie für untauglich hält, wird er sie nicht unterschreiben. Also dokumentiert er mit seiner Unterschrift seine medizinische Beratung. Und all diese drei Funktionen beruhigen den Arzt im Krankenhaus, dem im Falle eines Falles Ihre Patientenverfügung präsentiert wird.

 

 

4. Die Bevollmächtigten

 

Das war eigentlich schon Ihr eigentlicher Patientenwille. Aber es geht noch weiter. Sie müssen sich um die Durchsetzung Ihres Patientenwillens kümmern, in dem Sie Bevollmächtigte benennen. Das sollte nicht nur einer sein, denn einer allein kann ja auch mal verhindert sein. Und Ihre Bevollmächtigten sollten möglichst einiges jünger sein als Sie. Und zwar mindestens eine Generation jünger.

 

Wenn Sie Kinder haben, fällt die Wahl meist auf diese. Sie müssen aber mit den Kindern darüber sprechen. Und Sie müssen sie fragen. Denn die Benennung als Bevollmächtigter ist bei der Patientenverfügung nicht nur ein Vertrauensbeweis, sondern möglicherweise eine erhebliche Belastung. Es geht um Leben und Tod. Und Ihr Kind soll darüber entscheiden. Der Arzt sagt vielleicht: Sie wollen Ihre Mutter/Vater doch nicht so sterben lassen. Und Ihr Kind muss sagen: Doch! Und es muss mit dieser Entscheidung leben und zwar noch Jahre und Jahrzehnte. Der Arzt wird die Entscheidung im Zweifelsfalle akzeptieren. Aber was ist mit der übrigen Verwandtschaft, wenn sie von der Entscheidung erfährt. Und könnten Sie ruhig schlafen, wenn Sie Ihrem Kind nicht jede medizinische Möglichkeit hätten zukommen lassen?

 

Also für Ihre Bevollmächtigten ist es eine Riesenverantwortung und eine Riesenbelastung. Nicht selten kommt es vor, dass im Ernstfall die Angehörigen dieser Verantwortung und Belastung entfliehen. Die Mediziner und Juristen bezeichnen das als das emotionale Versagen der Angehörigen. Der Begriff „Versagen“ ist natürlich etwas hart, aber in der Sache ist es ja so. Wenn Ihr Bevollmächtigter entscheiden soll, weil Sie es nicht mehr können, aber ruft: Das kann ich nicht!, dann geht das zu Ihren Lasten und Ihr Bevollmächtigter hat versagt. Um das zu verhindern müssen Sie intensiv alles im Vorfeld mit der Familie und den Bevollmächtigten besprechen.

 

 

5. Was tun mit der Patientenverfügung?

 

Das war jetzt eine Menge Arbeit: Die Beschäftigung mit dem unangenehmen Thema, die Gespräche in der Familie, der Termin beim Hausarzt. Da ist man versucht, die Patientenverfügung ganz schnell ganz weit wegzuräumen. Und da gibt es doch diesen Dokumentenordner im Wohnzimmerschrank. Aber das wäre nicht gut.

 

Sie müssen überlegen, welche Abläufe in Gang kommen sollen, wenn eine Entscheidung für Sie getroffen werden muss, die Sie selbst nicht mehr treffen können.

 

 

5. Notfallmanagement

 

Ein Beispiel:

Mit zwei schweren Einkaufstüten in der Hand, rutschen Sie auf dem Weg vom Supermarkt nach Hause auf einer zugefrorenen Pfütze aus und schlagen auf den Hinterkopf. Sie werden bewusstlos ins Krankenhaus gebracht. Was jetzt? Kriegt jemand mit, dass Sie vom Einkaufen nicht wiederkommen? Und wie ist das in 12 Jahren, wenn Sie dann ausrutschen? Und wenn Sie nach vier Wochen aus dem Krankenhaus wiederkommen, was ist dann mit Ihrer Wohnung? Ist die Katze verhungert? Sind die Pflanzen vertrocknet? Oder was kann sonst noch alles passieren, wenn Sie nicht da sind?

 

Sie müssen sich also überlegen, wie es ablaufen soll. Die Ärzte im Krankenhaus müssen so schnell wie möglich von Ihrer Patientenverfügung erfahren. Vielleicht haben Sie ein entsprechendes Notfallkärtchen dabei oder Sie informieren Ihre Familie, Nachbarn, Freunde, wer wem Bescheid sagen soll und sich dann um Alles kümmert.