Grundwissen zum Pflichtteil

 


1. Was sind Pflichtteilsrechte?

Im Grundgesetz steht: das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Es gilt also nicht nur eine Eigentumsfreiheit und Eigentumsgarantie, sondern auch eine Erbrechtsfreiheit und Erbrechtsgarantie. Aber natürlich gelten diese Freiheiten nicht unbeschränkt. So darf ich auf meinem eigenen Grund und Boden nicht einfach bauen wie ich will. Und auch die Freiheit, zu bestimmen, was nach dem Tode mit dem eigenen Vermögen passieren soll, gilt nicht uneingeschränkt. Es gibt nämlich Pflichtteilsrechte.

Aber was sind Pflichtteilsrechte? Wo kommen sie her? Sind sie noch zeitgemäß? Und wie entstehen sie? Den Gedanken, dass ein Erblasser doch nicht so einfach machen kann, was er will, hatten schon die alten Römer.

Schon damals konnten die nächsten Angehörigen mit einer Anfechtungsklage gegen ein Testament vorgehen, wenn sie grundlos oder ungerechtfertigt übergangen worden waren. Denn so etwas machte ein Erblasser nicht, wenn er einigermaßen bei Verstand war. Hatte der Erblasser jedoch seine Angehörigen mit mindestens einem Viertel des Nachlasses bedacht, war die Klage unzulässig. Die alten Germanen kannten keine Testamente und deshalb auch keine Testierfreiheit. Es gab mehr oder weniger kein Privateigentum. Es gehörte alles der Sippe. Im Mittelalter wurde aber nach und nach das römische Recht und damit auch das Erb- und Pflichtteilsrecht übernommen.

Im romanischen Rechtskreis (z.B. Spanien) kennt man außerdem sogenannte Noterbrechte. Pflichtteilsrechte gelten also nur für einen bestimmten Personenkreis, nämlich die nächsten Angehörigen. Voraussetzung ist außerdem, dass der Erblasser sie übergangen hat. Es muss also ein Testament oder Erbvertrag vorliegen. Liegt kein Testament vor oder ist das Testament ungültig, dann gilt die gesetzliche Erbfolge. Diese berücksichtigt von vornherein die nächsten Angehörigen. Ein Pflichtteil entsteht also, wenn ein naher Angehöriger vom Erblasser übergangen worden ist.

Damit ist die Stimmungslage des Pflichtteilsberechtigten vorhersehbar. Er empfindet den Pflichtteil nicht als Trostpreis, sondern er fühlt sich zurückgesetzt. Das wird er weder dem Erblasser, noch den Erben verzeihen. Und deshalb werden Pflichtteilsprozesse oft so vehement geführt. Es kommt häufig vor, dass Pflichtteilsrechte unbeabsichtigt entstehen, wie z.B. beim Berliner Testament. Beim Berliner Testament handelt es sich um ein gemeinschaftliches Testament von Ehegatten mit einem bestimmten Inhalt: wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Erben ein, Erben des Letztversterbenden sollen unsere gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen sein. Ein solches Testament wird Berliner Testament genannt, weil es früher in Berlin besonders häufig erstellt wurde.

Mittlerweile ist es in ganz Deutschland bekannt und beliebt. In einem Berliner Testament sind zwei Erbfälle geregelt. Beim ersten Erbfall erbt der Ehepartner allein. Die Kinder bekommen nichts, sie sind also enterbt und haben Pflichtteilsrechte. Erst beim zweiten Erbfall sollen die Kinder Erben zu gleichen Teilen werden. Diese Position kann ihnen der überlebende Ehegatte nicht streitig machen, aber trotzdem haben sie keine geschützte Aussicht auf eine angemessene Beteiligung am Nachlass der Eltern. Denn ob nach dem Tod des überlebenden Elternteils noch Vermögen übrig ist, weiß vorher niemand. Wenn die Kinder sich ausreichend informieren werden sie deshalb möglicherweise den ihnen zustehenden Pflichtteil geltend machen. Selbst wenn das Berliner Testament mit einer sogenannten Strafklausel versehen ist, können die Kinder gut beraten sein, ihre Pflichtteilsrechte geltend zu machen.

Denn trotz der Strafklausel bzw. gerade wegen der Strafklausel erhalten sie nach dem Tode des überlebenden Elternteils erneut einen Pflichtteil. Es kommt sogar zur Pflichtteilskumulation. Denn im Nachlass des überlebenden Elternteils steckt vielleicht erhebliches Vermögen des erstversterbenden Elternteils. Dieser Vermögensteil würde dann doppelt mit Pflichtteil belegt. Es sind außerdem Fälle denkbar, in denen Pflichtteilsrechte entstehen, weil das Erbe ausgeschlagen wurde. Dann muss aber ein gesetzlicher Ausnahmetatbestand erfüllt sein. So kann es bei ungleichen Vermögensverteilungen durchaus sein, dass der überlebende Ehegatte sich für einen realen Zugewinnausgleich entscheidet.

Dann kann er die pauschale Regelung des Gesetzes dadurch umgehen, dass er das Erbe ausschlägt und Zugewinnausgleich und den kleinen Pflichtteil verlangt. Das Erbe kann auch „vergiftet“ sein, weil der Erblasser Nacherben eingesetzt hat oder weil er Testamentsvollstreckung angeordnet hat. Die Erben können auch mit Vermächtnissen oder Auflagen beschwert sein, so dass sie sich deshalb entscheiden, das Erbe auszuschlagen und den Pflichtteil zu verlangen. Und dann gibt es noch die Erbschleicher, die die nächsten Angehörigen ausbooten, so dass Pflichtteilsrechte entstehen. Diese Fälle nehmen immer mehr zu, weil immer mehr Menschen im wahrsten Sinne des Wortes alleinstehend sind. Damit sind sie anfällig für die Annäherung von Leuten, die es auf ihr Vermögen abgesehen haben. Bis die Angehörigen etwas merken, ist es oft schon zu spät. Dann bleibt am Ende nur noch der Pflichtteil. Das Pflichtteilsrecht spielt also im deutschen Recht eine erhebliche Rolle.

 

2. Wer kann Pflichtteilsrechte geltend machen?

Der Kreis der Pflichtteilsberechtigten ist nicht sehr groß. Da sind zunächst einmal die Abkömmlinge des Erblassers, also seine Kinder, Enkel und Urenkel usw. Zu den Abkömmlingen gehören auch die nichtehelichen Kinder und die Adoptivkinder, nicht aber die Stiefkinder. Wenn ein Kind erbt oder einen Pflichtteil fordern kann, dann gehen natürlich seine Kinder, also die Enkel des Erblassers leer aus. Auch die Ehegatten gehören zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten, es sei denn, es war zum Zeitpunkt des Todes ein Scheidungsverfahren anhängig.

Die Eltern des Erblassers können ebenfalls Pflichtteilsrechte erlangen, aber nur, wenn der Erblasser keine Abkömmlinge hatte. Die Geschwister des Erblassers oder andere Verwandte sind niemals pflichtteilsberechtigt. Natürlich kann nur derjenige einen Pflichtteil geltend machen, der ihn sich nicht selbst „vermasselt“ hat, weil er beispielsweise pflichtteilsunwürdig ist oder weil ihm zu Recht der Pflichtteil entzogen wurde oder weil er das Erbe vorschnell ausgeschlagen hat oder wirksam verzichtet hat.

 

3. Wie hoch ist der Pflichtteilsanspruch?

Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Es ist also nicht die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, sondern die Hälfte des Wertes, somit ein Geldanspruch. Sonst wären ja auch die Erben und die Pflichtteilsberechtigten zusammen in einer Erbengemeinschaft, was der Gesetzgeber vermeiden wollte.

Weil der Pflichtteilsanspruch ein Geldanspruch ist und schon mit dem Tod des Erblassers fällig wird, ist er so problematisch. Denn oft besteht der Nachlass überwiegend aus Sachwerten, z.B. Immobilien oder Betriebsvermögen. Häufig ist auch das Bankvermögen langfristig angelegt und nicht schnell verfügbar. Das ist allerdings dem Pflichtteilsberechtigten egal. Er ist schließlich enterbt und gegenüber den Erben benachteiligt. Wenn diese nun kurzfristig Sachwerte liquidieren müssen und dadurch einen Nachteil erleiden, ist das für den Pflichtteilsberechtigten ausgleichende Gerechtigkeit.

Dass das Elternhaus oder das Unternehmen versilbert werden müssen, stört ihn also nicht. Doch zunächst muss der Pflichtteilsberechtigte seine Quote berechnen. Er muss also wissen, was ihm als gesetzlicher Erbe zugestanden hätte. Das ist aber wiederum abhängig vom Güterstand der Ehegatten, soweit der Erblasser verheiratet war. Wenn der Pflichtteilsberechtigte seine Quote kennt, weiß er aber noch nicht, wie hoch der Pflichtteilsanspruch ist.

Das ist nämlich vom Gesamtwert des Nachlasses abhängig. Bei der Bestimmung des gesamten Werts des Nachlasses ist der Todeszeitpunkt maßgeblich. Wenn beispielsweise Wertpapiere nach dem Tode in ihrem Wert steigen oder fallen, hat das für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs keine Auswirkung. Maßgeblich ist der mittlere Wert des Todestages. Die Pflichtteilsberechtigten profitieren also nicht von nachträglichen Wertsteigerungen, haben aber auch kein Risiko bei Wertverlusten.

Bei Bar- und Bankvermögen und Wertpapiervermögen ist die Wertbestimmung nicht sonderlich problematisch. Schwieriger wird es bei Sachvermögen. Was ist das Elternhaus wert? Was ist der elterliche Betrieb wert? Wie sind eine Lebensversicherung, Kunstgegenstände, Sammlungen, Antiquitäten zu bewerten? Maßgeblich ist oft der so genannte Verkehrswert. Das ist der Betrag, den man bei einem Verkauf erzielen würde. Weil am Elternhaus aber kein Preisschild hängt, können sich Erben und Pflichtteilsberechtigte trefflich darüber streiten, was das Haus denn wert ist. Im Zweifelsfalle muss ein Sachverständiger den Wert ermitteln. Hat man alle positiven Vermögenswerte ermittelt, sind noch die gesamten Verbindlichkeiten abzuziehen.

Für den Pflichtteilsberechtigten sind solche Wertermittlungen fast unmöglich, weil er keinen Zugang zum Nachlass hat. Er ist auf vollständige und richtige Auskunft der Erben angewiesen. Deshalb hat er einen Auskunftsanspruch. Diesen macht er zuerst geltend.

 

4. Wer muss den Pflichtteil zahlen?

Der Anspruch auf den Pflichtteil entsteht mit dem Erbfall. Der oder die Erben müssen diesen Anspruch erfüllen. Dazu muss der Pflichtteilsberechtigte aber erst einmal wissen, wer alles Erbe geworden ist. Deshalb hat er ein Recht auf Einsicht in die Nachlassakte. Es kann ganz furchtbar lange dauern, bis feststeht, wer Erbe geworden ist. Denn es können verschiedene Testamente vorliegen oder es kann streitig sein, ob ein Testament formwirksam errichtet wurde oder ob der Erblasser noch testierfähig war. Vielleicht wird ein Testament angefochten oder das Erbe ausgeschlagen. All diese Dinge haben natürlich Einfluss auf die Pflichtteilsberechtigung. Und bis ein Erbschein erteilt wird, kann viel Zeit vergehen. Das kostet alle Beteiligten eine Menge Nerven. Der Pflichtteilsberechtigte muss aber vielleicht nicht bis zum Schluss warten. Es reicht, wenn er einen von mehreren Erben kennt. Er muss den Pflichtteil nicht von allen Erben oder der Erbengemeinschaft beanspruchen.

Denn die Erben haften als Gesamtschuldner. Also kann sich der Pflichtteilsberechtigte einen von ihnen aussuchen. Wenn Testamentsvollstreckung angeordnet ist oder ein Nachlasspfleger eingesetzt ist, muss der Pflichtteilsberechtigte sich trotzdem an die Erben halten. Nur im Nachlassinsolvenzverfahren ist der Insolvenzverwalter Prozessgegner. Aber in der Nachlassinsolvenz ist die Hoffnung auf einen positiven Nachlasswert ziemlich gering.

 

5. Wie wird der Pflichtteil geltend gemacht?

Der Pflichtteilsberechtigte muss sich an keine speziellen Formen oder Fristen (mit Ausnahme der Verjährungsfrist) halten, wenn er seine Ansprüche geltend macht. Aber natürlich macht er seine Rechte am besten schriftlich geltend. Eine bestimmte Summe kann er aber nicht benennen. Er braucht ja erst noch Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Es kann auch sein, dass Schenkungen zu Lebzeiten den Nachlasswert beeinflussen. Auch hierüber möchte er also Auskünfte haben. Nicht alle Auskünfte sind zufriedenstellend, weil Erbe und Pflichtteilsberechtigter unterschiedliche Auffassungen über den Wert eines Nachlassgegenstandes haben. Über den Wert einer Immobilie kann man trefflich streiten. Auch und besonders über den Wert eines Unternehmens. Man kann aber ein Gutachten verlangen.

Die Kosten des Gutachtens verringern allerdings den Nachlass. Wenn er von dem oder den Erben Auskunft erhalten hat, will er sicher sein, dass das wirklich alles ist, was angegeben wurde. Er kann dann von demjenigen, der die Auskunft erteilt hat, eine eidesstattliche Versicherung verlangen, dass die gegebenen Auskünfte vollständig und richtig sind. Aus den Auskünften ergibt sich der Nachlasswert. Aus der Pflichtteilsquote ergibt sich dann der Pflichtteilsbetrag. Es bleibt noch zu prüfen, ob sich der Pflichtteilsberechtigte Zuwendungen zu Lebzeiten des Erblassers anrechnen lassen muss. Hat er beispielsweise vom Verstorbenen ein Grundstück geschenkt bekommen, muss er sich das vielleicht anrechnen lassen. Dabei ist die Wertermittlung besonders schwierig, weil Veränderungen des Grundstückswertes nicht berücksichtigt werden, aber ein Kaufkraftverlust eingerechnet wird.

Weil das ganze Procedere länger dauern kann, sollte man sich immer auch über eine Verzinsung des Pflichtteilsbetrages Gedanken machen. In den seltensten Fällen zahlen die Erben schon mal vorab einen angemessenen Betrag. Das können sie meist auch gar nicht, weil nicht ausreichend liquide Mittel zur Verfügung stehen. Häufig besteht ein großer Teil des Nachlasses aus Sachwerten. In vielen Fällen kommt es nicht zu vernünftigen Ergebnissen, weil Erben und Pflichtteilsberechtigte sich nicht sonderlich gut leiden können. Wenn das absehbar ist, sollte man relativ früh anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Das führt in den meisten Fällen zu einer Versachlichung.

Und wenn man gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen muss, ist der Anwalt auch der erste Ansprechpartner. Denn der Pflichtteilsberechtigte macht seine Ansprüche mit einer Stufenklage geltend. Das schafft er nicht allein. Darüber hinaus können Pflichtteilsansprüche auch so hoch sein, dass man beim Landgericht klagen muss. Das geht dann erst recht nicht ohne Anwalt. In Pflichtteilsprozessen nützt eine Rechtsschutzversicherung nichts.

Aber natürlich hat der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen Anwalts- und Gerichtskosten gegenüber den Erben. Von den Gerichten wird oft ein Mediationsverfahren angeregt. Denn meist streiten sich Verwandte um den Pflichtteil. Dann könnte bei einer gelungenen Mediation der Familienfrieden wiederhergestellt werden. War das Mediationsverfahren allerdings nicht erfolgreich, haben die Parteien keine Nachteile, denn das Gerichtsverfahren wird dann fortgeführt.

 

6. Kann man Pflichtteilsansprüche verhindern?

Oft werden Mittel und Wege gesucht, das Entstehen von Pflichtteilsansprüchen zu vermeiden. Statt eines Berliner Testaments kann man über das Modell von Vor- und Nacherbschaft nachdenken. Man kann bei Schenkungen zu Lebzeiten eine Anrechnung vereinbaren oder einen Pflichtteilsverzicht notariell beurkunden lassen.

Oder man kann mit allen Beteiligten einen Erbvertrag schließen. Unter Eheleuten kann man zunächst prüfen, ob das Vermögen zu Lebzeiten ausgewogen verteilt ist. Grobe Unterschiede können vielleicht mit einer Güterstandsschaukel ausgeglichen werden. Man kann versuchen, den Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen zu erweitern, um die Pflichtteilsansprüche einzelner zu verringern. Manche Erblasser kommen auf die Idee, ihren Nachlass dadurch zu schmälern, dass sie schon zu Lebzeiten den „beliebteren“ Angehörigen etwas schenken. Doch dadurch können Pflichtteilsergänzungsansprüche entstehen.

Beim Versuch, Pflichtteilsberechtigte auszubooten, werden die abenteuerlichsten Dinge ausgedacht. Da soll auf einmal und nach 48 Jahren die unliebsame Tochter ein Kuckuckskind sein oder es werden den Kindern und Enkeln übelste Absichten angedichtet, um sie zu „enterben“ und den Pflichtteil entziehen zu können. Doch gerade bei der Pflichtteilsentziehung sind vom Gesetzgeber erhebliche Grenzen gesetzt. Der Pflichtteilsberechtigte muss dem Erblasser nach dem Leben trachten oder ähnlich schwere Straftaten begangen haben. Konnte man früher noch den Pflichtteil wegen eines ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels entziehen, so müssen heute wesentlich schwerwiegendere Vorwürfe nachweisbar sein. Im Ergebnis kann man also Pflichtteilsansprüche nicht völlig ausschließen, es stehen jedoch ausreichend Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, um zu verhindern, dass das Familienvermögen versilbert werden muss, um die Geldansprüche der Pflichtteilsberechtigten zu bedienen.

 

7. Was sind Pflichtteilsergänzungsansprüche?

Wenn der Erblasser versucht, zu Lebzeiten seinen Nachlass dadurch zu schmälern, dass er kleinere oder größere Teile verschenkt, können Pflichtteilsergänzungsansprüche entstehen. Dann werden die Schenkungen dem Nachlass hinzugerechnet. Dabei muss der Erblasser nicht mal bewusst an Schenkungen gedacht haben. Es können auch Lebensversicherungsverträge vom Pflichtteilsergänzungsanspruch erfasst werden.

Bei den Pflichtteilsergänzungsansprüchen spielen aber auch Schenkungen eine Rolle, bei denen niemand an einen Todesfall oder eine Nachlassschmälerung gedacht hat. So werden häufig Familienimmobilien frühzeitig an Kinder oder Enkel übertragen. Auch Unternehmensnachfolgen werden frühzeitig geplant und durchgeführt. Da stellt sich die Frage, wie lange eine Schenkung her sein darf, damit sie noch dem Nachlass zugerechnet wird. Vielen geistert die Zehnjahresfrist im Kopf herum, die jedoch immer wieder zu Missverständnissen führt. Tatsächlich kann der Pflichtteilsberechtigte keine Ergänzungsansprüche mehr geltend machen, wenn die Schenkung mehr als 10 Jahre vor dem Tod des Erblassers vollzogen worden ist. Diese Zehnjahresfrist fängt aber häufig nicht an zu laufen. Denn oft behält sich der Erblasser einen Nießbrauch oder eine andere Nutzungsmöglichkeit vor. Dann beginnt die Zehnjahresfrist nicht, weil der Schenker noch kein endgültiges Opfer erbracht hat. Die Schenkung ist noch nicht definitiv vollzogen. Damit sind die vielen Immobilienübertragungen, die aus steuerlichen Gründen vorgenommen worden sind, häufig nicht pflichtteilsfest. Bei Schenkungen zwischen Eheleuten ist die Angelegenheit noch problematischer. Dann beginnt der Lauf der Zehnjahresfrist nicht vor Auflösung der Ehe. Damit sind alle Schenkungen zwischen Eheleuten nicht pflichtteilsfest. Und die Juristen streiten sogar darüber, ob man auch Schenkungen vor der Ehe zwischen den späteren Eheleuten mit berücksichtigen muss. Pflichtteilsergänzungsansprüche spielen also neben den Pflichtteilsansprüchen eine ganz erhebliche Rolle.

 

8. Pflichtteilsrecht in anderen Ländern?

Andere Länder, andere Sitten! Wir hatten bereits am Anfang gesehen, dass das Pflichtteilsrecht keine Spezialität des deutschen Rechts ist. Schon die alten Römer kannten etwas ähnliches. Und das römische Recht hat in seinen Grundzügen weltweite Verbreitung gefunden.

Beispiel Spanien: dort gilt regional ein unterschiedliches Erbrecht. Ein Pflichtteilsrecht wie bei uns kennt man dort auch (z.B. auf den Balearen), jedoch alternativ ein sogenanntes Noterbrecht (z.B. im Baskenland). Dann werden die nächsten Angehörigen direkt am Nachlass beteiligt. Wenn Sie also Vermögen im Ausland haben, müssen Sie ganz besonders aufpassen. Wenn Sie wollen, dass auf Ihr gesamtes Vermögen deutsches Erbrecht angewandt wird, können Sie entsprechend der neuen EU Erbrechtsverordnung eine verbindliche Rechtswahl treffen. Und denken Sie bei Auslandsvermögen auch an die unterschiedlichen erbschaftssteuerlichen Regelungen.